Die unsichtbare Generation

Von Redaktion · · 2010/10

Alter ist Zukunft. Mit den Potenzialen alter Menschen ließen sich viele globale Probleme besser lösen, dennoch werde diese Generation viel zu häufig übersehen. Alt und Jung gehören zusammen und sollten viel mehr aufeinander achten, meint Lutz Hethey.

Wenn ein alter Mensch stirbt, so ist es, als würde eine ganze Bibliothek abbrennen“, lautet ein viel zitiertes Sprichwort. Eine Erkenntnis, die so wahr ist wie unbeachtet. Mittlerweile fanden zwei Weltversammlungen zu Fragen des Alters statt und es existiert ein Weltaltenplan der Vereinten Nationen, der drei Themen bezüglich älterer Menschen aufgreift: den demografischen Wandel, die Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden von älteren Menschen und die Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen für ältere Menschen.

159 Staaten haben den UN-Weltaltenplan unterzeichnet und es heißt in dem Dokument, dass „das Altern der Bevölkerung eine universale Kraft ist, mit der Macht, die Zukunft ebenso zu beeinflussen, wie es die Globalisierung tut!“. Dennoch werden die Leistungen alter Menschen bei Weitem noch nicht ausreichend gewürdigt. Auch fehlt es an politischen und gesellschaftlichen Konzepten, um auf den demografischen Wandel zu reagieren. Allein die Erkenntnis, dass die Weltbevölkerung altert, bewirkt nichts. Die Folgen eines sich verändernden Verhältnisses zwischen alten und jungen Menschen führen zu neuen Herausforderungen. Ähnlich wie beim Globalisierungsprozess und dem Klimawandel sind die meisten Leidtragenden der älteren Generation aus den armen und ärmsten Ländern unserer Welt.

Wir Alten aus dem Mittelstand und Mitteleuropa gewinnen wenigstens betriebswirtschaftlich an Bedeutung. Ich selbst fühle mich als Konsument der Generation 50+ zugeordnet und werde von Industrie und Handel immer stärker umworben. ÖkonomInnen und WerberInnen haben hier bereits ein riesiges Potenzial entdeckt. Was aber passiert mit den alten Menschen, die über keine Alterssicherung verfügen, geschweige denn über ein Budget?

Gerade diese Alten, diese „unsichtbare“ Generation wird fahrlässig missachtet. In der Entwicklungszusammenarbeit taucht Alter als Thema kaum auf, die Modernisierung verändert lokale Gemeinschaften, lebenswichtiges altes Wissen wird nicht mehr abgefragt. Wann berichten unsere Medien einmal von alten Menschen in Entwicklungsländern? So gut wie nie.

Ältere Menschen bleiben meist unsichtbar, wie z.B. viele Großmütter im südlichen Afrika, die ich gerne als „stille Heldinnen“ bezeichne. Diese älteren Menschen zählen unfreiwillig zu den wichtigsten Akteurinnen bei der Bewältigung der HIV/Aids-Krise: Sie pflegen nicht nur ihre an HIV/Aids erkrankten Kinder – sondern versorgen auch noch ihre Enkelkinder. Mittlerweile wird im südlichen Afrika von 15 Millionen Aids-Waisen gesprochen, wovon die Hälfte bei Ihren Großeltern, vor allem bei den Großmüttern lebt.

Eine doppelte Katastrophe für die – oftmals selbst um ihre Existenz kämpfenden – alten Menschen, denn Kinder sind weiterhin eine Art Alterssicherung. Die Hoffnung, mit vielen Kindern im Alter versorgt zu sein, existiert häufig nicht mehr. Ein Drama – ohne Netz und Boden.

Der Weltaltenplan fordert weiters die Einbeziehung der Bedürfnisse alter Menschen in Strategien des Kampfes gegen HIV/Aids. Die Vereinten Nationen haben zu Recht 2006 beschlossen, alte Menschen in ihrer Rolle als Pflegende und Versorgende zu unterstützen. Daraus resultiert für mich die Forderung, die gesellschaftlichen Leistungen dieser alten Menschen finanziell zu honorieren und den Lebensunterhalt von Großeltern und Enkeln zu sichern. Die Hauptverantwortung fällt hierbei den Staaten zu, und deshalb müssen in der Entwicklungszusammenarbeit neben der Förderung von Pilotmaßnahmen auch finanzielle Transfers für den Aufbau staatlicher Sicherungssysteme stattfinden.

Viele der älteren Generation haben Angst, dass das über Generationen weitergegebene Wissen bald verschwinden wird. Sie haben Recht! „Wenn wir nicht etwas unternehmen, wird es die Sprache, die Bräuche und Traditionen der Indigenen bald nicht mehr geben“, stellt ein älterer Herr aus dem ländlichen Peru fest. Er hat große Angst, dass die Wurzeln und damit auch die kulturelle und gesellschaftliche Bindung für die nachfolgenden Generationen unwiederbringlich verloren gehen. „Wir Alten werden bei der Aussaat und beim Anbau von Kartoffeln und Mais um Rat gefragt, weil wir die Zeichen der Natur genauer deuten können und besser wissen, welche Pflanzen wo am besten wachsen. Wir sind die Letzten, die noch alle Sorten kennen.“

Ohne das Wissen der älteren Menschen gäbe es noch weniger kulturelle und biologische Vielfalt, welche für die Entwicklung eines Landes von entscheidender Bedeutung ist. Allein auf Modernisierung zu setzen, lässt lokale Gesellschaften langfristig nicht überleben.

In der UN-Konvention zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes steht, dass altes Wissen schützenswert ist und dazu beiträgt, die Zukunft zu sichern. Ich halte sehr viel von einer generationsübergreifenden Wissensweitergabe, weil sie in der Praxis dazu führt, dass Jung und Alt voneinander lernen.

Ich spreche mich gegen die Ausgrenzung alter Menschen bei der politischen Willensbildung aus. Ihr Wissen und ihre Fähigkeiten werden leider viel zu selten abgefragt. Alte Menschen müssen weltweit in die Gestaltung ihrer Gesellschaften und in die Entscheidungsprozesse auf allen Ebenen einbezogen werden.

Daraus ergibt sich zwangsläufig die Aufforderung an die Entwicklungszusammenarbeit, die Umsetzung des Weltaltenplanes endlich aktiv zu gestalten und durch konkrete Maßnahmen die Beteiligung alter Menschen an sozialen Prozessen zu fördern. Damit alten Menschen die ihnen zustehenden Rechte eingeräumt werden und dem Alter Würde verliehen wird.

Lutz Hethey ist Geschäftsführer von HelpAge Deutschland e.V. – www.helpage.de. Er lebt in Osnabrück und ist zweifacher Großvater.

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